Megalencephale Leukoencephalopathie mit subkortikalen Zysten (MLC)

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Artikel rezensiert von Pr. Raul Estevez

Die megalencephale Leukoenzephalopathie mit subkortikalen Zysten (MLC) gehört zur Familie der Leukodystrophien. Es handelt sich um eine äußerst seltene genetische Krankheit. Ihre Häufigkeit beträgt weniger als 1 pro 1.000.000 Geburten, in bestimmten Bevölkerungsgruppen mit hoher Blutsverwandtschaft tritt die Krankheit aber häufiger auf. Es handelt sich um eine seltene Krankheit, für die es derzeit keine Behandlung gibt.

Die megalenzephale Leukoenzephalopathie mit subkortikalen Zysten tritt meist vor dem dritten Lebensjahr auf und führt zu schweren neurologischen Funktionsstörungen, die motorische und kognitive Funktionen beeinträchtigen und zum Tod führen können. Die Krankheit ist durch eine infantile Makrozephalie[1] gekennzeichnet, die häufig mit anfänglich leichten neurologischen Symptomen (wie einer leichten motorischen Retardierung) einhergeht, die sich im Laufe der Zeit verschlimmern und zu Gangstörungen, Stürzen, Ataxie[2], Spastik[3], fortschreitenden Krampfanfällen und kognitivem Verfall führen.

 


[1] Makrozephalie: abnorme Vergrößerung des Kopfes
[2] Ataxie: Störung der Feinkoordination von Willkürbewegungen
[3] Spastizität: intermittierende oder anhaltende unwillkürliche Aktivierung der Muskeln, die sich durch Muskelsteifheit äußert

Genetische Mutation

Die Gene, deren Mutation für die megalencephale Leukoenzephalopathie mit subkortikalen Zysten verantwortlich ist, sind das MLC1-Gen auf Chromosom 22 (auf 22q13.33) und das MLC2-Gen auf Chromosom 11 (auf 11q24.2). Mutationen im MLC1-Gen sind rezessiv und bei 75 % der Patienten vorhanden. Mutationen im MLC2-Gen sind rezessiv oder dominant und machen 20 % der Fälle aus. Über 20 verschiedene Mutationen wurden in diesem zweiten Gen identifiziert, und die Ärzte unterscheiden bei diesen Patienten die beiden Formen 2A und 2B. Bei der Form MLC2B verbessern sich die Anzeichen und Symptome mit der Zeit, aber die Gründe dafür sind bisher noch unbekannt.

Das MLC1-Gen kodiert für ein gleichnamiges Membranprotein, das einem Ionenkanal ähnelt[1], dessen genaue Funktion aber noch nicht geklärt ist. MLC2, auch bekannt als HEPACAMkodiert für ein Adhäsionsmolekül namens GlialCAM. Das Protein GlialCAM ist besser bekannt unter dem Namen MLC1. Es reguliert die Lokalisierung des Chloridkanals ClC-2, mit dem es assoziiert ist, die Lokalisierung von Connexin 43 und die Aufrechterhaltung von Zell-Zell-Verbindungen.

 


[1] Ionenkanal: eine Zellstruktur, die den Eintritt und Austritt von Ionen ermöglicht. Über diese Art von Kanälen gelangen beispielsweise Kalzium, Kalium oder Natrium in die Zellen bzw. verlassen diese.

Die Proteine MLC1 und GlialCAM bilden zusammen einen Komplex, dessen Funktion noch unbekannt ist, der aber hauptsächlich in den Zellen der weißen Substanz, den Astrozyten, gebildet wird, die die Blutgefäße umgeben.

Krankheitssymptome

Die megalencephale Leukoenzephalopathie mit subkortikalen Zysten ist durch fortschreitende motorische und kognitive Defizite gekennzeichnet. Es handelt sich um eine erbliche Kinderkrankheit, die durch eine früh einsetzende Makrozephalie gekennzeichnet ist.

Klinisch zeigen die Patienten eine Verschlechterung der motorischen Funktionen mit Ataxie und Spastizität, Krampfanfällen und geistigem Verfall. Im Gegensatz zu anderen Leukodystrophien schreitet die megalenzephale Leukoenzephalopathie mit subkortikalen Zysten nur sehr langsam voran, aber leichte Kopftraumata und häufige Infektionen können den klinischen Zustand der Patienten verschlimmern.

Für die Schwere der Erkrankung scheinen viele Faktoren eine Rolle zu spielen. Beispielsweise können Geschwister mit der gleichen Mutation unterschiedliche Phänotypen aufweisen, d. h. die Krankheit unterschiedlich ausprägen. So zeigen Patienten, die zu Beginn ein klinisches Bild aufweisen, dass allen anderen ähnelt, bei späteren MRT-Untersuchungen eine Verbesserung oder sogar eine Normalisierung. Dieser Krankheitsverlauf entspricht dem so genannten MLC2B-Phänotyp. Auch diese Patienten können unterschiedliche Phänotypen aufweisen, die von einer gutartigen, vorübergehenden Form der megalencephalen Leukoenzephalopathie mit subkortikalen Zysten bis hin zu einer Form mit Makrozephalie und geistiger Retardierung mit oder ohne Autismus reichen.

Krankheitsdiagnose

Bei Verdacht auf diese Krankheit wird bei Kindern eine Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt. Es zeigen sich diffuse Anomalien der weißen Substanz des Gehirns mit leichten Ödemen sowie subkortikale Zysten im fronto-parietalen und anterioren Temporalbereich.

Die MRT-Untersuchung des Gehirns zeigt eine Schwellung der weißen Substanz mit subkortikalen Zysten und Myelinvakuolen, vor allem im vorderen Temporalbereich, die auf eine megalencephale Leukoenzephalopathie mit subkortikalen Zysten hinweisen. Die Diagnose kann häufig durch einen Gentest an einer Blutprobe bestätigt werden. Diese Tests können aber auch nicht aussagekräftig sein, weil wahrscheinlich andere Gene beteiligt sind, die nicht mit der Krankheit in Verbindung gebracht wurden.

Genetische Beratung

In den meisten Fällen wird diese Erbkrankheit autosomal-rezessiv vererbt, d. h. beide Eltern sind Träger einer Mutation. Damit sich die Krankheit als MLC1 und MLC2A manifestieren kann, sind zwei vorhandene mutierte Kopien des Gens notwendig. Bei den MLC2B-Formen ist die Übertragung der Krankheit im Gegensatz zu den beiden anderen Formen dominant. Ein genetischer Berater kann dabei helfen, das Risiko der Übertragung auf Kinder zu bestimmen. Bei rezessiven Formen besteht bei jeder Schwangerschaft eine 25-prozentige Chance, dass das Kind betroffen ist, und eine 75-prozentige Chance, dass das Kind nicht betroffen ist.

                                                                  

Der vereinfachte Mechanismus, der zur Krankheit führt

Die megalencephale Leukoenzephalopathie mit subkortikalen Zysten ist eine Erkrankung der Astrozyten.

                        

 

                                                                 

 

                                                                     Astrozyten: Hauptakteure in der weißen Substanz

Die sternförmigen Astrozyten sind die zahlreichsten Zellen im zentralen Nervensystem. Dank ihrer Ausläufer bilden sie ein komplexes Netz von Zellen. Die Astrozyten sind untereinander und mit den Zellen der Blutgefäße (an der Blut-Hirn-Schranke) verbunden. Zellen tauschen Ionen, kleine Moleküle und Stoffwechselprodukte über enge Verbindungsstellen aus. Enge Knotenpunkte ermöglichen ein koordiniertes Vorgehen aller Akteure im Netz, die dann mit einer Stimme sprechen.

Der von den Proteinen MLC1 und GlialCAM in den Astrozyten gebildete Komplex könnte die funktionellen Eigenschaften bestimmter Kanäle verändern, die für den Durchgang von Ionen und anderen Molekülen verantwortlich sind, insbesondere über die Blut-Hirn-Schranke,  die Grenze zwischen dem Gehirn und dem Blut. Die Deregulierung der Kanäle könnte die Bildung der Bläschen erklären, die im MRT als Zysten sichtbar sind, und ordnet die megalenzephale Leukoenzephalopathie mit subkortikalen Zysten in die Gruppe der so genannten kavitären Leukodystrophien ein.

Die Tatsache, dass Patienten mit megalencephaler Leukoenzephalopathie mit subkortikalen Zysten mitunter an Epilepsie erkranken, ist nicht typisch für Leukodystrophien, wohl aber für Krankheiten, die durch Mutationen in Ionenkanalproteinen verursacht werden. MLC1 könnte ein Ionensensor oder ein Tetraspanin sein, das die Aktivität verschiedener Proteine durch Veränderungen in der Signaltransduktion reguliert. Experten gehen davon aus, dass die intrazelluläre Kalziumdynamik bei den Patienten gestört ist und dass dies zur Pathogenese beiträgt.

Alltäglicher Umgang mit der Krankheit

Derzeit besteht die Behandlung der megalencephalen Leukoenzephalopathie mit subkortikalen Zysten in einer unterstützenden symptomatischen Behandlung. Die Behandlung basiert auf Physiotherapie, psychomotorischer Stimulation und der Behandlung von Krampfanfällen. Es ist immer möglich, eine Komfortlösung anzubieten, und alle an der Pflege Beteiligten, die Mediziner und die Angehörigen, müssen zusammenarbeiten, um Hindernisse zu erkennen und Lösungen vorzuschlagen.

Therapieforschung

Bislang gibt es keine endgültige Behandlung für die megalencephale Leukoenzephalopathie mit subkortikalen Zysten. Das mangelnde Verständnis der molekularen Mechanismen der Krankheit behindert die Entwicklung von Therapien für diese Leukodystrophie.

Die beiden wichtigsten, an der Krankheit beteiligten Proteine sind bekannt, aber die Funktion des MLC1/GlialCAM-Komplexes und die damit verbundenen pathologischen Mechanismen sind nach wie vor unbekannt. Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass bei der megalencephalen Leukoenzephalopathie mit subkortikalen Zysten die Rolle der Gliazellen bei der Ionenhomöostase des Gehirns unter physiologischen und entzündlichen Bedingungen verändert ist, was das Fortschreiten der Krankheit bei leichten Kopftraumata oder häufigen Infektionen erklärt.

Da Patienten mit der MLC2B-Form jedoch einen reversiblen Phänotyp aufweisen, gehen Experten davon aus, dass der Phänotyp von MLC1- und MLC2A-Patienten durch die Wiedereinführung des korrigierten Gens auch in späteren Stadien gemildert werden könnte. Derzeit laufen von der ELA unterstützte präklinische Untersuchungen, um die Durchführbarkeit der Gentherapie zu bewerten. Die Suche nach einer Behandlung für die megalencephale Leukoenzephalopathie mit subkortikalen Zysten macht weiterhin Fortschritte, ist jedoch noch lange nicht am Ziel.